Der Mythos Hinterkaifeck: Eine Wanderung zum Tatort
Befindet man sich auf dem frisch gepflügten Acker, zwischen Waidhofen und Gröbern - nordöstlich der Spargelstadt Schrobenhausen, unmittelbar am Hexenhölzl-Eck, so kann man sich kaum vorstellen welches furchtbare Grauen vor genau 100 Jahren dort stattgefunden hat.
März 1922: Hinterkaifeck - Ein kleiner Einblick:
Wir schreiben das Jahr 1922: Das Austragsehepaar Cäzilia Gruber († 72 J.) und ihr knapp 8 Jahre jüngerer Mann in 2. Ehe Andreas, planten auf dem Hinterkaifecker Hof eine Vergrößerung des Stalls. Mit 38 Tagwerk Feld und 12 Tagwerk Wald, sowie etlichem Nutzvieh zählte die Familie zu einer der reichsten Bauern im gesamten Umkreis - nicht zuletzt weil der Hausherr und seine Frau äußerst sparsam und bescheiden lebten.
Viktoria Gabriel († 35 J.) die bereits verwitwete Tochter der beiden, lebte ebenfalls mit ihren zwei Kindern Cäzilia († 7 J.) und dem kleinen Josef († 2 J.) auf dem diesem Anwesen. Ihr Mann, der aus dem Nachbarort Laag stammende Karl Gabriel zog 1914 in den ersten Weltkrieg, und kehrte von dort nie mehr zurück. Kurz vor Weihnachten, am 12.12.1914 fiel dieser an der Front bei der Schlacht im Arras, im französischen Neuville. Seine Tochter Cäzilia lernte der junge Vater († 26 J.) nie kennen.
Die Arbeit auf dem Hof war hart und beschwerlich. Von Zeit zu Zeit halfen Tagelöhner oder Nachbarn den Austragsbauern gegen Nahrung oder Kleingeld. Unterstützt wurden sie allerdings stets von einer Magd, die mit der Familie gemeinsam auf dem Hof lebte und dort ein eigenes Zimmer besaß.
Freitag, 31. März 1922: Wenige Stunden vor dem Mord:
Der Monat März schien damals ungewöhnlich kalt zu sein. Andreas Gruber und seine Tochter Viktoria beschlossen nach getaner Arbeit in das sieben Kilometer entfernte Schrobenhausen zu laufen, um für das bevorstehende Wochenende einzukaufen und weitere Bestellungen für den Anbau des neuen Stalls zu tätigen. Der 31. März blieb den dortigen Kaufleuten auf ewig in Erinnerung, denn es war das letzte Mal, an dem noch ein Teil der fünfköpfigen Familie lebend gesehen wurde. Laut Zeugenaussage des Eisenwarenhändlers erzählte der eher menschenscheue und wortkarge Andreas Gruber dem Geschäftsinhaber, dass in seinem Haus Seltsames vor sich geht. Beispielsweise hörte der 64-jährige immer wieder auf dem Speicher lautes Poltern und Schritte - allerdings konnte er dort oben nie jemanden entdecken. Auch eine Münchner Zeitung (der heutige Münchner Merkur) will der alte Gruber im Schnee vor dem Eingang ins Hexenhölzl entdeckt haben. Es schien genau jene Stelle zu sein, an der sowohl der rüstige Bauer als auch seine Tochter kurz zuvor fremde Gestalten gesehen haben, die den Hof aus der Ferne beobachteten. Dass Fußspuren im Schnee ins Haus führten aber nicht mehr zurück, hinterlässt bei Gruber ein ungutes Gefühl welches er zu unterdrücken versuchte. Nur die Zeitung weckte seine Neugier, denn bei seinen Recherchen stellte sich heraus, dass keiner aus dem Umkreis dieses Tagblatt abonniert hatte.
Auch Viktoria berichtete zeitgleich in einem anderen Geschäft von den mysteriösen Vorkommnissen die sich seit einer Weile auf dem Hof abspielten. Obwohl es Tage zuvor wiederholt Anzeichen gab, dass jemand der Familie Gruber-Gabriel Angst einjagen möchte und anscheinend auch zu mehr fähig ist, informierte der rüstige Bauer keine Polizei. Als zu guter Letzt Gruber's einziger Hausschlüssel plötzlich spurlos verschwand, schlug auch der Nachbar Lorenz Schlittenbauer vor die Gendarmerie zu verständigen. Andreas Gruber blieb stur und wiegte sich in Sicherheit mit seinem geladenen Gewehr. Genau dieses Fehlverhalten wurde ihm, seiner Ehefrau, der Tochter und den beiden Enkelkindern sowie der neuen Magd Maria Baumgartner († 45 J.) letztendlich zum Verhängnis.
Als Viktoria Gabriel mit ihrem Vater zusammen aus Schrobenhausen wieder zurückkam, trafen sie und der alte Gruber zum ersten Mal in der warmen Küche auf die neue Magd Maria Baumgartner, die von ihrer jüngeren Schwester Franziska begleitet wurde. Die körperlich und geistig eingeschränkte Mittvierzigerin fühlte sich auf dem oberbayerischen Einödhof von Anfang an sichtlich unwohl, und flehte ihre bereits verheiratete Schwester an, diese doch wieder mitzunehmen. Später gab Franziska zu Protokoll, sie hatte das Gefühl, dass Maria das Unheil -welches nur wenige Stunden später über dieses Anwesen hereinbrach- schon vorher spürte.
31. März 1922: Der Mord
Was genau an jenem Abend geschah, konnte bisher nie restlos aufgeklärt werden. Nur durch die Fundorte der Leichen und diversen Theorien unter Berücksichtigung von Zeugenaussagen der Nachbarn und Angehörigen wurde ein ungefährer Tathergang rekonstruiert.
Dies könnte vielleicht so geschehen sein:
Es ist spät abends, irgendetwas weckte Viktoria Gabriel's Interesse, sodass sie als Erste vom Wohnraum in den angrenzenden Stall ging um nach dem Rechten zu sehen. War es ein losgebundenes Vieh, ein geheimer Verehrer oder vielleicht doch ein Dieb der sich schon ein paar Tage zuvor durch sein Poltern und den Schritten im Dachboden bemerkbar machte?
Sie war vermutlich das erste Opfer welches mit neun Hieben einer Reuthaue erschlagen wurde, kurz bevor ihr Peiniger sie würgte. Es ist davon auszugehen, dass unmittelbar danach Viktoria's Mutter Cäzilia Gruber in den Stall kam um nachzusehen, warum ihre Tochter nicht mehr zurück in die Küche kam. Später wurden bei ihr acht Löcher an der rechten Kopfseite -ebenfalls durch eine Reuthaue ausgeführt- festgestellt. Anschließend wurde Andreas Gruber selbst im Stall hingerichtet, sowie die kleine Zilly, die jedoch nicht sofort an ihren schweren Verletzungen starb. Über zwei Stunden lang litt die Schülerin Höllenqualen, bei denen sie sich büschelweise die Haare ausriss. Während vier Personen von sechs im Stall getötet wurden, lag der kleine Josef erschlagen in seinem Stubenwagen und die Magd ermordet im Mägdezimmer. Auch bei diesen beiden Opfern wurde die Reuthaue eingesetzt.
Besonders bei dem kleinen Bub Josef († 2 J.) war eine extreme Brutalität durch dem Schlag festzustellen, sodass die Theorie für eine Beziehungstat bzw. einem Racheakt erstmal nicht abwegig klang.
Hier stellt sich ebenfalls die Frage, warum der Mörder oder die Täter alle seine Opfer notdürftig abdeckte. Konnte er den Anblick nicht ertragen und wünschte sich gar die Tat im Nachhinein ungeschehen zu machen?
01. April - 04. April: Ein Sechsfachmord bleibt vorerst unentdeckt:
Samstag, 01. April 1922: Während für alle das Leben scheinbar normal weiterging, blieb es rund um den Einödhof Hinterkaifeck still. Zu still. Es schrie weder das Vieh im Stall, noch bellte der Wachhund - ein senfgelber Spitz. Wie war das möglich, wo doch die komplette Familie ausgelöscht wurde und sich somit keiner mehr um die Tiere kümmern konnte?
Es lässt die Vermutung zu, dass der oder die Täter noch mindestens 1-4 Tage auf dem Hof mit seinen Opfern zusammenlebte und notdürftig sämtliche Stallarbeiten erledigte, bis letztendlich der Fluchttag feststand. Dadurch hatte der Mörder genug Zeit um sich von seiner Tat zu erholen und sich gleichzeitig auf seine nächsten Schritte vorzubereiten. Erwähnenswert ist hierbei, dass der Täter sich absolut sicher fühlen musste, von niemandem entdeckt zu werden.
Was jedoch sofort bemerkt wurde, war das unentschuldigte Fehlen der kleinen Cäzilia am Unterricht. Weder am Samstag noch am Montag oder Dienstag gab es eine plausible Erklärung, warum das kleine Mädchen nicht zur Schule kam. Das erste Mal dass sich die Nachbarn Gedanken um die Hinterkaifecker machten war, als Familie Gruber-Gabriel am Sonntag dem 02.04. nicht in der Kirche erschien. Denn besonders Viktoria, die als Lerchenstimme von Waidhofen bekannt war und im Kirchenchor in vorderster Reihe mitsang, ließ selten den Gottesdienst ausfallen. Auch als verschiedene Personen nach der Mordnacht bei den Austragsbauern klingelten um etwas kaufen oder verkaufen zu wollen, blieb alles mucksmäuschenstill. Dem Postzusteller Josef Mayer fiel nur auf, dass der kleine Bub ihn nicht vom Fenster aus beobachtete wie er es sonst täglich tat wenn er die Zeitung und Briefe an der Haustür ansteckte. Doch erst am Dienstag, dem 04.04 geschieht kurz vor der Entdeckung der Leichen noch etwas Sonderbares. Der Monteur Albert Hofner, der vom alten Gruber beauftragt wurde den Motor in der Hütte zu richten traf morgens um ca. 9:00 Uhr im Einödhof ein. Zwar hörte er den Hund im Stall bellen und das Vieh unruhig schreien, allerdings sah er nicht nach, sondern verschaffte sich nach über einer Stunde Wartezeit unter einem Baum gewaltsam Zutritt ins Motorhäuschen. Knapp fünf Stunden lang war der junge Monteur mit der Reparatur beschäftigt, bei der er zum Schluss einen Probelauf durchführte um auf seine Anwesenheit aufmerksam zu machen. Als Hofner nach getaner Arbeit schließlich gehen wollte, bemerkte er, dass das Scheunentor offen - und der Hund bellend davor stand. Doch als sich nach mehrmaligen Rufen wieder niemand rührte, verließ der junge Mann das Anwesen und informierte die Kinder von Lorenz Schlittenbauer -dem nächstliegenden Nachbarn aus Gröbern- über die ausgeführte Reparatur.
Dienstag, der 04. April: Ein schauderhafter Fund:
Auf Lorenz Schlittenbauer's Wunsch machten sich der damals 16-jährige Johann und sein Stiefbruder Josef am Nachmittag auf den Weg zum 250 Meter entfernten Hinterkaifecker Hof, bei dem nach wie vor keiner der Hausbesitzer anzutreffen war. Da Ortsführer Schlittenbauer seit Freitag keinen Kontakt mehr zu den Hausbesitzern hatte, machte er sich selbst gemeinsam mit Jakob Sigl und Michael Pöll -die ebenfalls aus Gröbern stammten- auf den Weg zum Hof. Schon beim Betreten des Anwesens ging eine unheilvolle Stimmung von dem Haus aus, sodass sich die drei Männer gewaltsam Zutritt über das Stadltor ins Hausinnere verschafften. Dabei stolperte Schlittenbauer über den Fuß des verstorbenen Hausherren, dessen Körper notdürftig mit Stroh und einer Holztür abgedeckt wurde. Doch unter dieser provisorischen Vorrichtung befanden sich noch drei weitere Leichen - nämlich die der kleinen Zilly, deren Mutter und Großmutter. Pöll und Sigl die bei dem schrecklichen Anblick der Toten sofort kehrt machten und ins Freie stürmten, ließen Schlittenbauer alleine zurück, der sich nun auf die Suche nach seinem Sohn Josef machte, der scheinbar aus einer kurzen Affäre mit Viktoria Gabriel entstand. Allerdings kam für den kleinen Bub der noch im Stubenwagen lag jede Hilfe zu spät, wie auch für die Magd in der Mägdekammer, die noch mit dem Auspacken beschäftigt war, als der Mörder über sie herfiel. Dass der kleine Josef mit dem Rock seiner Mutter abgedeckt wurde, die Magd mit einem Federbett und die restlichen Leichen mit Stroh und einer Türe wirkt bizarr und man kommt zur Annahme dass der Täter vielleicht kein Fremder war.
Die Ermittlungen: Was bekannt ist:
Am Dienstagabend war auf dem Hinterkaifecker Hof ein Aufgebot zu sehen, wie es in der sonst so beschaulichen Umgebung bisher noch nie der Fall gewesen war. Sowohl die Gendarmerie aus Hohenwarth und Schrobenhausen, als auch der Bürgermeister eilten nach Kontaktaufnahme umgehend zum Tatort.
Einige Stunden später kamen zusätzlich sechs Beamte der Mordkommission München hinzu, darunter der Ermittlungsleiter Georg Reingruber der bis zu seiner Pensionierung 1930 an diesem Fall gearbeitet hatte. Neben ersten Vernehmungen mit den Zeugen und Angehörigen, wurde der Hof auf etwaige Spuren und Hinweise durchsucht. Dabei fielen den Beamten auf dem Speicher zwei Liegemulden im Heu auf, sowie ein herabhängender Strick an der Dachbodenluke. Des Weiteren stellte man fest, dass zwei Dachziegel so verschoben wurden, dass die potenziellen Täter ihre Opfer gezielt jederzeit beobachten konnten, um über jeden ihrer Schritte informiert zu sein. Es wurden nur wenige Tatortfotos gemacht, sowie zwei Spürhunde eingesetzt um die Mordwaffe oder andere Beweisstücke zu finden. Doch die Suche sollte vorerst ergebnislos bleiben. Denn erst zehn Monate nach der Tat als das komplette Anwesen abgerissen wurde, fand man im Fehlboden neben einem Taschenmesser und einem Bandeisen auch die Reuthaue, die zweifelsfrei als Mordwaffe identifiziert werden konnte.
Am Donnerstag und Freitag wurden im Hof des Anwesens unter den Blicken der Öffentlichkeit die Leichen obduziert. Dabei trennte der Neuburger Landgerichtsarzt Dr. Johann Bapt. Aumüller die Köpfe der sechs Opfer ab, um die Verletzungen besser untersuchen zu können. Kopflos wurden Maria Baumgartner, Viktoria und Cäzilia Gabriel, sowie Andreas, seine Frau Cäzilia und Josef Gruber am Samstag den 08.04.1922 von drei Priestern in Waidhofen beerdigt. Tausende Menschen versammelten sich in dem kleinen Ort um der Familie die letzte Ehre zu erweisen. Man spricht heute noch davon, dass es in dem Dorf so leise war, dass man eine Maus hätte rennen hören können.
Ein Resümee: Verdächtige und die ewige Frage nach dem Motiv:
Hinterkaifeck wird vermutlich für immer ein Mythos bleiben. Ein Cold Case der nicht nur durch seine Brutalität für helles Aufsehen sorgte, da der Verbrecher nicht einmal vor unschuldigen Kindern zurückschreckte, sondern auch über die kuriose Familienkonstellation Gruber-Gabriel die einen kurzen Einblick in die dunkle Seite hinter dem sonst so vermeintlich idyllischen Landleben gewährt.
Man mag verwundert sein über die unsaubere Arbeitsweise der damaligen Mordkommission München, über die fehlenden oder teils unvollständigen Berichte und Zeugenaussagen, nichtsdestotrotz sollte man sich stets vor Augen halten, dass vor 100 Jahren die Kriminalistik erst im Aufbau war und die Polizei für einen wesentlich größeren Zuständigkeitsbereich verantwortlich war im Vergleich zu heute. Dass die Kripo stets von einem Raubmord ausging, obwohl sämtliche Wertgegenstände wie beispielsweise Gold und Schmuck nicht entwendet wurden, ist ebenso fraglich wie unwahrscheinlich. Wer sich in den Fall ein wenig einliest wird schnell merken, welche Verdächtigen in den engeren Kreis kommen. Willkürliche Schuldzuweisungen und Spekulationen seitens der Öffentlichkeit sorgten dafür, dass noch heute sämtliche Ortsansässige und unmittelbare Nachkommen keine Ruhe finden. Aus Rücksicht auf genau diese Nachkommen werde ich weder diese Theorien noch meine persönliche Meinung dazu äußern. Davon gibt es im Internet bereits mehr als genug und alles führt zu einem Ergebnis: Keinem. Dieser Mord wirft mehr Fragen auf, als dass er Antworten liefert.
Dass Andreas Gruber mit seiner Tochter eine Inzestbeziehung führte war kein Geheimnis. Ein Urteil vom 28.05.1915 bestätigt dies, denn dafür saß der Bauer ein Jahr im Zuchthaus, hingegen seine Tochter aufgrund ihrer Schwangerschaft mit Josef nur einen Monat ins Gefängnis musste. Bis heute ist nicht geklärt wer genau der Vater von diesem Kind war. Stammte es aus einer kurzen Lisson mit Lorenz Schlittenbauer oder haben sich Vater und Tochter erneut der Blutschande strafbar gemacht? Ist es möglich, dass noch andere potenzielle Väter in Frage kommen? Auch wenn man beschließen würde, die Gräber zu öffnen um eine DNA-Probe zu entnehmen, würde es keinen weiteren Hinweis auf den Mörder geben.
Ob sich Andreas Gruber in politische Machenschaften verstrickt hat und sogar für oder gegen die Freikorps gearbeitet hat und daher die Familie einem Fememord zum Opfer fiel bleibt genauso ungeklärt wie der tot geglaubte Ehemann Viktoria's -Karl Gabriel- der nicht im französischen Neuville starb, sondern als Rachengel zurückgekehrt sein soll.
All die Spekulationen und viele weitere werden je weiter der Fall zurückliegt immer bizarrer und die Möglichkeiten des Motivs immer skurriler, doch was bleibt ist eine Faszination für das Unbekannte das bei Weitem nicht abzuflauen vermag.
Eine Wanderung zum Tatort
Obwohl zehn Monate nach der Tat das komplette Anwesen Hinterkaifeck abgerissen wurde, und nur noch das unverkennbare Hexenhölzl-Waldstück an den genauen Standort des Hofes erinnert, gibt es zahlreiche Hobbydetektive und Interessierte, die noch heute -100 Jahre nach dem Sechsfachmord- den einstigen Tatort aufsuchen, an dem sich am 31. März 1922 Schreckliches ereignete.
Auch ich habe mich auf den Weg zum besagten Schauplatz gemacht, der dem Gemeindegebiet Wangen und zum Bezirk Schrobenhausen angehört. Wer sich mit der Geschichte Hinterkaifeck länger befasst hat muss feststellen, dass es mittlerweile unzählige Bücher, Dokumentationen, Filme und auch Foren darüber gibt, bei dem jeder zu Wort kommen möchte. Auch ich habe mich dabei ertappt, wie ein wahres Hinterkaifecker Fieber bei mir ausgebrochen ist, vermutlich deswegen, weil der Tatort nicht unweit von mir entfernt liegt.
Seit einigen Jahren bietet die Gästeführerin Maria Weibl aus Neuburg-Schrobenhausen (Laternen)-Wanderungen zum Marterl an, einer kleinen, äußerst gepflegten Gedenkstätte zu Ehren der ermordeten Personen. Auf höchst respektvolle- aber auch anschauliche Art erzählt die sympathisch wirkende Frau über Vergangenes, verwebt zusätzlich zur damaligen Geschichte traditionelles von Heute, wie beispielsweise die Vorzüge der Stadt Schrobenhausen, die vor allem durch den aromatischen Spargel vielerorts bekannt und beliebt ist.
Jährlich besuchen hunderttausende von Menschen das Marterl, welches nur wenige Meter vom einstigen Hof entfernt unter einer riesigen Kiefer steht. Das Besondere an dem Nadelbaum ist, dass dieser schon jeher dort stand. Er ist der einzige Zeuge und schweigt beharrlich. Er erweist durch seine fünf Auswüchse den Familienmitgliedern die letzte Ehre. Für jede Gabelung steht ein Opfer - Maria Baumgartner nicht mitgerechnet, da diese nur wenige Stunden auf dem Hof lebte.
Treffpunkt der Wanderung vom 10. April 2022 war die Kirche Mariä Reinigung in Waidhofen, in der auch Viktoria Gabriel im Kirchenchor sang und bei Pfarrer Haas beichtete. Von dort aus liefen wir den ehemaligen Schulweg der 7-jährigen Cäzilia Gabriel, der anschließend durch das Hexenhölzl direkt zum Hof führte. Doch vorher überquerten wir eine kurze Wegstrecke, die besonders von Schmugglern gern aufgesucht wurde. Nach der zweistündigen Wanderung kehrten wir wieder zum Ausgangsort zurück, bei dem der letzte Besichtigungspunkt der Friedhof war. Der ca. 2,5 Meter hohe Marmorobelisk ragt bereits über die Friedhofsmauer andächtig hervor, bei dem schräg gegenüber ein goldenes Jesuskreuz zu sehen ist. Das Grab, welches ebenfalls äußerst gepflegt und liebevoll angepflanzt wurde ist die Ruhestätte aller sechs Opfer, einschließlich der Magd. Auch das Grab von Lorenz Schlittenbauer besuchten wir. Seine Ruhestätte weist als einer der wenigen Gräber einen weißen Stein auf.
Außerhalb des Friedhofs gibt es eine Gedenktafel für die gefallenen Soldaten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, die wir uns ebenfalls noch angesehen haben. Dabei ist auch Karl Gabriel aufgeführt, der Ehemann von Viktoria und der Vater von Cäzilia. Auch seine Cousins sind niemals aus dem Krieg zurückgekehrt.
Es ist etwas anderes ob man Zuhause über die Tat liest oder ob man vor Ort die Schauplätze ansieht und eintaucht in eine längst vergangene Zeit in der es kaum noch einen Zeitzeugen gibt der etwas wissen könnte. Eine Tat die mich gleichzeitig erschauern lässt und trotzdem ein Stück weit aufgrund der wirren Verstrickungen fasziniert. Doch ob ich für mich jemals eine plausible Theorie finde wer nun letztendlich der Mörder sein könnte, steht auf jeden Fall noch in den Sternen.
Aktuelle Informationen aus Waidhofen vom 30.08.2022
(Quelle: Mindelheimer Zeitung)